Die Weisheit der Bäume

Die Weisheit der Bäume

Im September 2021 habe ich fünf Bäume interviewt, die Eiche, Buche, Birke, Linde und Weide.

Schon mal gemacht, einen Baum interviewt?

Also, es braucht vor allem eines: Geduld und Zuhören. Zwei Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft nicht gerade an oberster Stelle der Beliebtheitsskala stehen, oder?

Bevor wir zu den Interviews gehen, möchte ich meine Interviewpartnerinnen etwas vorstellen.

Die Eiche und die Buche gehören zu den Urbäumen unseres Kontinentes, und waren für unsere Vorfahren sehr bedeutungsvoll in jeder Hinsicht.

Die Eiche wurde meist dem Männlichen zugeordnet, einerseits weil ihr Holz sehr hart ist, und weil sie auch mit dem Blitz assoziert wird und damit mit den männlichen Göttern Thor, Zeus und Co. Unter dem Schutz der Eiche haben unsere Vorfahren auch Recht gesprochen. Andererseits steht die Eiche auch für das Mütterliche: sie lässt gutmütig zu, dass viele andere Lebewesen bei ihr einen Lebensraum finden. Somit steht die Eiche für die Mitte, für Beides.

Die Buche bildet – wenn sie kann – gerne einen ganzen Buchenwald, der nur aus Buchen besteht, und unter den hohen Baumkronen bildet sich dann eine riesige Halle, in welcher es wunderbar ruhig und still ist. Unsere Ahnen haben aus Buchenholz «Buchenstäbchen» geschnitzt und mit Runen versehen, und daraus entstanden… ja, du hast es sicher erraten, unsere «Buchstaben» und das «Buch». Spannend, nicht? Die Buche ist also auch die Hüterin des Wissens.

Die Linde ist oft an Kraftorten und im Zentrum von Dörfern zu finden, wo sich die Bevölkerung versammelt. Sie steht für Reflexion und Innenschau, und auch für Gemeinschaft, Geselligkeit, für Musik und Tanz, für Herzlichkeit und die Liebe. Das siehst du auch an ihren herzförmigen Blättern.

Die Birke erobert als eine der Ersten Neuland und gilt deshalb als die Pionierin unter den Bäumen, sie steht also für Neubeginn, und auch für Licht und Leichtigkeit.

Die Weide ist eine grosse Heilerin (nicht nur das «Aspirin» ihrer Rinde) und lädt uns unter ihrem wunderbaren Blättervorhang am Wasser zum Träumen ein. Sie ist auch Sinnbild für grosse Vitalität: auch wenn sie stark zurückgeschnitten wird, treibt sie wieder aus.

Für die Interviews bin ich so vorgegangen: ich habe den Bäumen fünf Fragen gestellt und zugehört resp. wahrgenommen, was als Antworten kamen. Dann habe ich versucht, die Antworten der Bäume in unsere Sprache zu übersetzen. Jeder Baum hat seine eigene Art, auf die Fragen zu antworten.

Die Interviews mit der Weide, Birke, Linde, Buche und Eiche

Im Folgenden finden Sie nun eine Zusammenfassung der Interviews mit allen fünf Bäumen. Ich finde jede Aussage eines jeden Baumes bemerkenswert, und ich lade Sie ein, sich Zeit zu nehmen, um sie auf sich wirken zu lassen.

Frage 1: Worin siehst resp. erkennst du den Sinn des Lebens?

Birke: Oh, das ist eine einfache Frage: in der Leichtigkeit natürlich. Und immer wieder im Neubeginn. Ihr Menschen nehmt es oft viel zu schwer, dabei ist es ganz leicht.

Linde: In der Gemeinschaft miteinander: und miteinander heisst nicht nur unter euch Menschen, sondern auch mit uns Bäumen, Pflanzen, Tieren und allen Wesen dieser Erde. Wenn wir uns alle gegenseitig unterstützen, zusammen Musik machen und miteinander «schwingen», wirst du den «Sinn des Lebens» fühlen…

Buche: Im Wachsen und Entwickeln! Aber mit Wachsen meine ich nicht das einseitige und egoistische Wachsen, das ihr Menschen meist meint, sondern das «Zusammen-Wachsen», das auch Kleine miteinbezieht und diese unterstützt… das Grosse Ganze steht über Allem…

Weide: …alles fliesst… alles ist im Fluss… das Sonnenlicht reflektiert im Wasser… der Schein des Mondes leuchtet im Wasser… träume… träume… alles fliesst…

Eiche: Das ist die falsche Frage. Die Frage sollte lauten: Welchen Sinn gibst DU dem Leben?

Frage 2: Was ist dein Rat/deine Empfehlung für Krisen resp. für schwierige Zeiten in unserem Leben? Wie kommen wir wieder zurück ins Urvertrauen?

Weide: Lege dich nicht an mit dem Sturm… mache es wie ich: sei biegsam… lasse dich biegen… gehe mit… denn jeder Sturm hat mal ein Ende… der Wind legt sich… die Sonne wärmt dein Äusseres und der Mond dein Inneres… du bist gestärkt…jeder Sturm stärkt dich…

Birke: Komme zu mir, schaue in meine Krone hinauf, meinem weissen Stamm entlang, in die Äste… und ich werde dich «hoch heben»… schwinge mit mir in die Leichtigkeit des Seins… es ist so leicht…

Eiche: Frage mich und ich werde dir eine Antwort geben.

Linde: Komme zu mir und ich werde dich in die Arme nehmen. Bei mir bist du geborgen. Ich liebe dich.

Buche: Komme in den Wald, verwurzele dich zusammen mit uns, sei im Hier und Jetzt, fühle es mit jeder Faser deines Körpers… Hier und Jetzt… Hier und Jetzt…

Frage 3: Welchen Wunsch hast du an uns Menschen?

Eiche: Zeit ist nicht so wichtig. Denkt in grösseren Dimensionen.

Buche: Nur zusammen mit allen Wesen könnt ihr wachsen und «gross» werden.

Weide: Träumt und folgt euren Sehnsüchten.

Birke: Kommt aus der Komfortzone, wagt den Neubeginn.

Linde: Liebe ist die Lösung. Schenkt auch uns Bäumen und Pflanzen einen lieben Gedanken, ein nettes Wort, das tut uns gut.

Frage 4: Vermisst du etwas als Baum? Gibt es etwas, was du gerne erleben würdest?

Linde: Ich würde gerne mal mittanzen, mit den Menschen…

Weide: Ich vermisse nichts… im Traum ist alles möglich…

Eiche: Als junger Baum habe ich mir manchmal gewünscht, anderswo zu sein, doch nun bin ich glücklich, wo ich bin und was ich bin.

Buche: Ich vermisse nichts, alles hat seine Ordnung, es ist wie es ist.

Birke: Herzhaft lachen… Lachen ist eine hohe Schwingung. Wenn ich Mensch wäre, würde ich viel lachen.

 

Frage 5: Was ist dein Geheimtipp für uns?

Buche: Suche die Stille, höre dir selbst zu.

Eiche: Gehe Schritt für Schritt mutig voran, die Kraft wird da sein.

Linde: Tanze und singe so viel wie möglich mit anderen, das fördert die Gemeinschaft.

Birke: Sage dir immer wieder: «Es ist so leicht!» und die leichte Schwingung der Worte wird dich tragen.

Weide: Bewege dich, gehe in die Natur, ans Wasser, lasse es fliessen, lasse den Mond in dein Herz…

Interviews und Photos: Alexandra Waeber, September 2021