«Nein, es tut mir leid, aber meine Entscheidung ist definitiv.»

«Aber du brauchst mich doch, ich weiss es.»

«Ich wiederhole nochmals: du warst viele Jahre ein treuer Begleiter und ich weiss, dass du es gut meinst, doch nun ist die Zeit gekommen, dass ich Abschied nehme von dir. Ich wünsche dir alles Gute.»

«Aber der Andere… wieso? was kann der, was ich nicht kann?»

«Schau, es war nun einfach die Zeit für einen Neuen. Wir beide sind nicht mehr weitergekommen zusammen. Es ist nun Zeit für eine Veränderung in meinem Leben. Für einen nächsten Schritt in meiner Entwicklung. Um die anstehenden Herausforderungen anzugehen. Und dafür ist der Neue absolut der Richtige.»

«Und ich? was mache ich nun?»

«Mmhh… vielleicht ist es auch für dich Zeit für eine Veränderung… für eine Transformation?»

«Veränderung? Transformation? Aber wie?»

« Oh, ich traue dir zu, dass du da schon eine Lösung für dich finden wirst. Doch nun muss ich gehen. Unsere Wege trennen sich ab hier. Adieu, mein Freund. Nochmals meine besten Wünsche für dich.»

Mit diesen Worten wendet sie sich ab und geht.

Der Glaubenssatz steht da wie bestellt und nicht abgeholt. Er kann es immer noch nicht glauben, dass dies wirklich passiert ist. Was nun? Veränderung, Transformation hat sie gesagt? Allein der Gedanke daran lässt ihn schaudern. Traurig lässt er die Schultern hängen und setzt sich hin.

Lange sitzt er so, wie versteinert.

Der Tag neigt sich dem Ende zu, der Mond geht hinter den Bäumen auf und leuchtet freundlich auf den Glaubenssatz hinab. Doch der sieht ihn nicht.

Auch die Nacht vergeht und die Sonne macht einen imposanten Auftritt mit rotgolden schimmerndem Morgenrot.

Doch auch dies sieht der Glaubenssatz nicht.

Die Sonne ist etwas beleidigt, denn als Diva ist sie es gewohnt, dass ihre Auftritte grosse Bewunderung hervorrufen.

Es wird wieder Nacht.

Da auf einmal. Was war das?

Der Glaubenssatz schreckt auf. Hat ihn etwas berührt?

Etwas Kleines, Weiches hat ihn gekitzelt. Er schaut sich um.

Eine kleine Maus schaut ihn neugierig an und fragt: «Was machst du denn da?»

«Ach, ich weiss nicht, was aus mir werden soll!»

Die Maus schaut ihn eine Weile aufmerksam an und überlegt.

«Mmhh, frag doch die Eule, die weiss immer Rat.»

Der Glaubenssatz schaut hoffnungsvoll auf: «Die Eule? … und wo finde ich die?»

«Komm, ich zeige dir den Weg zu ihr.»

Der Glaubenssatz steht mühsam auf, vom langen Sitzen ist er noch unbeweglicher geworden. Er humpelt hinter der Maus her, bis sie bei einer alten knorrigen Eiche angekommen sind.

«Hallo, Eule, bist du da? Ich habe jemanden hier, der deinen Rat braucht.»

«Sei willkommen, Fremder, was führt dich in meine Gefilde?», ertönt eine tiefe Baritonstimme.

«Lass dich nicht irritieren», sagt die Maus zum Glaubenssatz, «sie redet etwas theatralisch, aber sie ist eigentlich ganz nett. Ich gehe nun, habe viel zu tun. Ciao.»

Und schon ist sie weg.

Der Glaubenssatz ruft ihr noch ein «Danke» hinterher und er glaubt ein «Schon recht» zu hören. Dann wendet er sich der Eiche zu und versucht zu erkennen, woher die Stimme der Eule ertönte.

«Nun? Wie lautet dein Anliegen?», ertönt es aus dem dunklen Geäst.

«Ich bin ein einfacher Glaubenssatz und wurde vor die Türe gestellt und nun weiss ich nicht, was ich machen soll.»

«Mmhh…»

Langes Schweigen.

Der Glaubenssatz wartet geduldig.

Dann endlich, die tiefe Stimme ertönt: «Ehrenwerter Glaubenssatz, ich sehe dich. Du verfügst über Potenzial.»

«Ja?», fragt der Glaubenssatz hoffnungsvoll.

«So ist es.
Doch bist du bereit für eine Reise?
Eine Reise, die dich zu deiner wahren Essenz führen wird?
Ich warne dich, es ist nicht einfach.
Du musst loslassen. Alles. Vollständig.
Und dich den Elementen anvertrauen.
Hörst du? Loslassen.
Hugh, ich habe gesprochen.
Lebewohl.»

«Warte», ruft der Glaubenssatz, «was bedeutet das? Wie mache ich das, loslassen?»

Doch nur die Stille der Nacht antwortet ihm.

Verwirrt bleibt der Glaubenssatz stehen.

Da fühlt er plötzlich eine starke Windböe, die aus dem Nichts kommt, ihn umfasst und an ihm zerrt.

«Ach, mir ist doch alles egal. Soll mich doch der Wind mitnehmen.»

Und der Glaubenssatz lässt sich vom Wind vortragen, weit und hoch, über Felder, Wiesen und Städte.

Da! Was ist das? Es wird immer heller… und wärmer… heisser.

«Nein!», ruft der Glaubenssatz entsetzt. Aber schon zu spät. Er ist mitten in einem fröhlich flackernden Kaminfeuer gelandet.

«Ach, mir ist doch alles egal. Soll mich doch das Feuer verbrennen.»

Und er überlasst sich ergeben dem Feuer.

Doch was ist das?

Der Glaubenssatz fühlt sich gepackt und im nächsten Augenblick findet er sich in einem Kübel Wasser wieder.

«Ich ertrinke», denkt er noch, «aber ist ja auch egal», bevor er, oh Wunder, sanft herausgeholt wird.

«Wer bist denn du?», fragt eine kecke Stimme.

«Ich war mal ein Glaubenssatz. Aber jetzt weiss ich nicht mehr so genau, was ich bin. Nach all den Abenteuern.»

«Oh, ich liebe Abenteuer!», sagt die Stimme erfreut, «komm, setz dich zu mir, und erzähle…»

 

Geschichte und Photos: Alexandra Waeber, November 2022