Ich war eben gerade mit Morgane vom Stall weggeritten. Ich wollte die Mittagszeit nutzen für diesen Ausritt. Am Nachmittag hatte ich wieder Termine und dann… im Herbst wurde es schon früh dunkel, und in der Dunkelheit reiten, das wollte ich mir und Morgane nicht antun. Sie war schon eine ältere Pferdedame, und auch wenn sie unsere Wege gut kennt, ein Fehltritt wollte ich nicht riskieren. Ich schaute auf die Uhr: ob die Zeit wohl reicht, die grössere Runde zu machen? Es sollte reichen, wenn wir etwas «Gas geben»…

Es war einer dieser wunderbaren, sprichwörtlich goldenen Oktobertage, die uns nochmal so richtig an den Sommer erinnern. Ich betrachtete die schöne Landschaft… meine Gedanken schweiften langsam ab… zum Vormittag… zum Gespräch mit einem Kunden… hmmm, was mache ich nur mit diesem Problem…

Ruck. Morgane ist stehen geblieben. Ich werde jäh aus meinen Gedanken gerissen. Ich schaue nach vorne um zu sehen, wieso sie stehen bleibt. Da ist nichts, kein Wolf, keine Wasserpfütze (sie mag keine Pfützen…), nur der Naturweg, der sanft nach unten verläuft. Ich versuche sie mit den Beinen und der Stimme anzutreiben: «Hey, Morgane, was ist los, wieso gehst du nicht weiter?» Nichts, sie steht bockstill. Merkwürdig. Und sie senkt auch den Kopf nicht um zu grasen. Für pferdeunkundige Leserinnen und Leser: ein Pferd nutzt jede Gelegenheit, um einen Grasbüschel zu erhaschen, es kann einfach der Versuchung nicht widerstehen.

Aber nein, Morgane steht einfach still da, Kopf oben.

Ich beginne mir Sorgen zu machen, hat sie eine Blockade im Rücken oder in den Beinen? Ich krame in meinem Wissen über Pferde: habe ich schon mal so was gelesen oder davon gehört? Oder spielt sie die Zickige? Sie hat ja auch ihre Launen…

Morgane berichtet:
Wir sind unterwegs. Ich freue mich auf den Ausritt. Doch ich merke die Ungeduld von Alexandra auf meinem Rücken. Sie versucht mich, mit den Beinen anzutreiben, damit ich schneller gehe. Ich mag es aber gemütlich. Ausserdem, ich habe alle Zeit der Welt. Punkt.
Ich stehe still, geniesse den Augenblick. Jetzt hier. Mmmmmhhh, herrlich!
Alexandra ist überrascht und versucht mich zum Weitergehen zu bewegen. Da stehen wir nun, ganz still, um uns herum die wunderschöne Landschaft, die Sonne, die mein Fell erwärmt…Ich seufze, mache einen tiefen Atemzug und blähe meine Nüstern, um die milde Luft so richtig aufnehmen zu können… ah… das ist einfach das Paradies.
Da endlich, Alexandra macht auch einen tiefen Atemzug. Ich spüre, wie sie sich entspannt.
Wunderbar, wir stehen da, beide, und geniessen den Augenblick.

Alexandra berichtet:
Da stehen wir also. Mitten auf dem Weg. Ich schaue auf die Uhr. Es wird nun wahrscheinlich nicht reichen, die grössere Runde zu machen… Ich versuche es wieder und wieder, Morgane zum Weitegehen zu bewegen. Auf sanfte Art und auch energischer. Nichts. Sie bleibt weiterhin einfach stehen. Es ist nicht so einfach, eine gute halbe Tonne Pferd zum Weitergehen zu bewegen, wenn es nicht will… Die Zeit rinnt dahin. Die Sonne wärmt vom Himmel… angenehm…

Da, Morgane, macht einen tiefen Atemzug, ich spüre es ganz deutlich… es ist ansteckend, dieses Atmen… ich merke, wie auch ich tief ein und aus atme… ich ergebe mich… die Zeit wird nun wahrscheinlich «nur» für die kleine Runde reichen… ich seufze… betrachte die Landschaft um mich herum… sehe es nun erst so richtig… wie wunderbar: die Wälder mit ihren farbigen Blättern… der blaue Himmel… die milde Luft… ein Hauch einer Brise auf meinem Gesicht… der Geruch von Gras und Erde… ich atme nochmals tief ein und aus… herrlich!
Da… Morgane macht einen Schritt… und noch einen… wir sind wieder unterwegs.
Eine Zeitlang bleibe ich in Gedanken bei der Landschaft um mich herum… dann schweifen sie zum bevorstehenden Nachmittag… ich schaue auf die Uhr… um 14 Uhr muss ich zurück sein…

Morgane berichtet:
Endlich. Alexandra macht einen tiefen Atemzug. Ich spüre, wie ihre Anspannung nachlässt. Einen Augenblick lang stehen wir beide und atmen und geniessen. Nun kann ich weitergehen. Schritt für Schritt, wir beide in Bewegung. Im Hier und Jetzt.
Dann… oh, nein, nicht schon wieder, sie verspannt sich wieder. Ich bleibe stehen und warte. Ich habe ja alle Zeit der Welt.

Alexandra berichtet:
«Oh, nein, was ist nun schon wieder los?» Morgane ist wieder stehen geblieben.

Mir kommt eine Idee: Kann es sein, dass sie meine Gedanken lesen kann? Merkt sie, wenn ich mit den Gedanken anderswo bin? Oder merkt sie einfach, wenn ich ungeduldig bin, gestresst? Kann es sein, dass sie… aber nein… und doch… wartet sie darauf, dass ich mich entspanne?
Ich probiere es aus, ergebe mich, seufze und mache einen tiefen Atemzug…
…und ja, sie geht tatsächlich weiter.

 

Denise Sonderegger hat im Sommer 2020 das Buch herausgegeben: «Mache Pause und werde reich». Als ich es gelesen habe – es ist übrigens sehr empfehlenswert – habe ich wieder mal über die Bedeutungen von «Pause machen» nachgedacht.

Für mich war es lange Zeit ein abstrakter Begriff. Ich hatte so Assoziationen wie «Hängematte», «Sofa» und «endlos lange Ferien», irgendwie positiv, doch unrealistisch, weit weg.

Was verbindest du mit «Pause machen»?

Denise beschreibt es in ihrem Buch wunderbar: Pausen sind wichtig, um zu uns zurück zu finden, damit wir bewusst sind, bei uns, in der Gegenwart. Nur dann können wir Ideen entwickeln für die Zukunft.

Tiere sind da sehr gute Vorbilder, das kennst du sicher auch, vor allem wenn du selber ein Haustier hast. Ob Pferd, Katze, Hund oder Meerschweinchen & Co.: sie alle kennen nur die Gegenwart.

So lernte ich von Morgane inne zu halten und den Augenblick wahrzunehmen, die Schönheit um mich herum, das Leben selbst, mit allen Sinnen, und einen Moment lang tief zu atmen.

Sie erinnerte mich daran, Pause zu machen und im Hier und Jetzt zu sein.

Ich bin ihr sehr dankbar für diese stillen Momente des Innehaltens. Sie waren sehr wertvoll, diese Kurzpausen. Manchmal viel effizienter als grosse lange Pausen.

Übrigens: Das Meeting am Nachmittag ist damals gut verlaufen, sicher auch WEIL ich ausgeruht war und Pause gemacht habe.

Morgane ist leider nun schon eine Weile im Pferdehimmel, doch noch heute halte ich zwischendurch inne und schaue als Beispiel – wenn ich HomeOffice mache – zum Küchenfenster hinaus auf meinen selbstgepflanzten Hollunderbusch und nehme bewusst wahr, welche Jahreszeit wir haben: im Frühling sehe ich das Wachstum (hast du gewusst, wie schnell ein Hollunderbusch wächst!) und die weissen Blütendolden, im Sommer die grüne Pracht der Blätter und die Beeren, die sich verfärben bis sie ganz schwarz sind, im Herbst, wie ich wieder den Teich dahinter durch die langsam lichter werdenden Blätter sehen kann, und im Winter habe ich dann wieder volle Sicht auf den Teich und schaue den Amseln zu, wie sie im Teich baden, …

und ich atme tief ein und aus … ich merke wie die Anspannung loslässt… ich denke an Morgane und lächle vor mich hin. Danke, meine liebe Pferde-Freundin!

Mach doch gerade mit, jetzt:
einmal tief ausatmen… einmal tief einatmen… und wieder ausatmen… wow… merkst du wie die Schultern weicher werden…ja, genau so…

Es ist so leicht!
Wort ich bin Wort.

Geschichte: Alexandra Waeber, 2020
Fotos: Alexandra Waeber

Diese Geschichte war Teil einer Blogparade im Oktober/November 2020 zum Thema „Pause machen“, inspiriert vom Buch „Mache Pause und werde reich“ von Denise Sonderegger.