«Bist du dafür oder dagegen?»
Der kleine Igel schaut erstaunt auf.
«Um was geht es?»
«Das spielt keine Rolle. Entscheide dich: dafür oder dagegen?»
«Mhmmm, ich weiss nicht...».
Eine Ente nähert sich und fragt: «Um was geht es?»
«Bist du dafür oder dagegen?»
«Dafür», sagt die Ente, «man muss doch schliesslich fortschrittlich sein.»
«Ich bin dagegen», meldet sich ein Maulwurf, der seinen Kopf gerade in dem Moment aus seinem Hügel gestreckt hat. «Es kommt nichts Gutes raus, wenn man dafür ist. Nichts Gutes.», seufzt er. «Damals, in meiner Jugend, da war ich auch dafür, und was hat es mir gebracht? Nichts Gutes! Seither bin ich immer dagegen.» und er verschwindet unter der Erde.
«Bah», sagt die Ente, «der hat doch keine Ahnung. Der ist die ganze Zeit unter der Erde. Hör auf mich, kleiner Igel, dem Fortschritt gehört die Welt. Sei dafür.»
«Ich bin auch dagegen. Aus Prinzip.», tönt es von oben. Ein Elsternpaar sitzt auf einem Ast.
«Und ich bin dafür, auch aus Prinzip.», kontert die andere Elster.
Die beiden Elstern streiten sich.
Weitere Tiere nähern sich dem Schauplatz, neugierig zu erfahren, was da los ist.
Als sie die Frage hören, «Dafür oder dagegen», fängt eine engagierte Diskussion an. Die einen sind dafür, die anderen dagegen, und jeder versucht den anderen von seiner Meinung zu überzeugen. Niemand hört zu, alle reden gleichzeitig.
Dem kleinen Igel wird es ganz schwindlig von dem Lärm und er zieht sich zurück.
Am Ufer steht der Graureiher. Still auf einem Bein, die Augen geschlossen.
Der kleine Igel nähert sich ihm. Der Graureiher öffnet ein Auge.
«Na, Kleiner, was ist los?»
«Die fragen mich, ob ich dafür bin oder dagegen, aber keiner kann mir sagen, um was es geht. Kannst du mir weiterhelfen?»
Ein paar andere Tiere versammeln sich um den Graureiher und Igel. Auch sie wollen bei der Diskussion «dafür oder dagegen» nicht mitmachen.
«Ja, uns interessiert auch, was du zu sagen hast?»
Der Graureiher schaut sein Publikum an und sagt dann zum Igel: «Du warst zuerst: Wie lautet deine Frage?»
«Ich weiss nicht, aber irgendetwas stört mich an dem Dafür oder Dagegen, ich kann mich nicht entscheiden, und gleichzeitig möchte ich mich nicht entscheiden, doch wie soll ich antworten?
«Anstelle einer Antwort frage ich dich: Welche anderen Möglichkeiten siehst du, ausser dich entweder dafür oder dagegen auszusprechen?»
Der Igel überlegt.
«Im Moment sehe ich nur die Möglichkeit: ich enthalte mich der Stimme, also weder dafür noch dagegen.»
«Gut», sagt der Reiher, «was noch?»
«Vielleicht gibt es eine dritte Variante?», sagt ein Rotkehlchen schüchtern.
«Du meinst, weder dafür noch dagegen, doch nicht neutral wie der Igel, sondern eine weitere Variante?»
«Ja, genau», bestätigt das Rotkehlchen.
«Auch gut», sagt der Reiher. «Was noch?»
«Beides», flüstern die Blätter einer Eiche. Die Eiche steht für die Mitte.
«Das geht doch gar nicht!», protestieren einige der Tiere.
«Doch, doch, das geht, das ist sehr weise gesagt, liebe Eiche», sagt der Reiher.
«Wie denn?», fragen die Tiere.
«Überlegt mal zuerst selbst.»
«Du meinst ein Kompromiss zwischen «Dafür und Dagegen»?», meldet sich ein Frosch.
«Ja, das ist eine Möglichkeit. Was noch?»
Die Tiere überlegen.
«Vielleicht mal das Dafür und dann wieder das Dagegen, je nach Kontext?», kommt es vom Rotkehlchen.
«Sehr gut überlegt», erwidert der Reiher.
Die anderen Tiere betrachten das Rotkehlchen bewundernd, was das Rotkehlchen verlegen macht und der rote Fleck auf seinem Hals wird noch etwas röter.
«Es gibt noch weitere Möglichkeiten», flüstern die Blätter der Eiche.
«Lass hören», sagen die Tiere erwartungsvoll.
«Habt Ihr Zeit?»
Und die Eiche und der Reiher vertiefen sich in die weiteren Möglichkeiten. Die anderen Tiere, Bäume und Pflanzen schauen zu und staunen über die vielfältigen Varianten.
Geschichte und Bilder: Alexandra Waeber, April 2021
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